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03/2025 Mit Holz ist’s leichter

BAUEN

Ein Stammhaus zum Jubiläum

«Stammhaus» nennen die Holzbauexperten von Blumer Lehmann ihr neues Empfangs- und Bürogebäude im sankt-gallischen Gossau. Namensgebend ist eine beeindruckende Freiform-Treppe im Atrium, deren skulpturale Form an einen Baumstamm erinnern soll.

Text Blumer Lehmann, DB Bilder Jan Thoma/Blumer Lehmann

Seit mehr als 20 Jahren reiften bei Blumer Lehmann in Gossau (SG) die Pläne und Ideen für ein neues Bürogebäude, das die vielfältigen Aktivitäten des Unternehmens im Erlenhof zusammenführen soll. «Das Stammhaus wird ein lebendiger Ort sein, an dem Ideen entstehen und gedeihen und der damit den Geist unseres Unternehmens verkörpert», wünscht sich Bauherrin Katharina Lehmann. Zu Beginn dieses Jahres und rechtzeitig zum 150-Jahr-Jubiläum war es endlich so weit: Die Belegschaft des Holzbauunternehmens konnte ihre neuen Arbeitsplätze in Beschlag nehmen. Der neue Hauptsitz ist ein hochmoderner Holzbau, geplant von K&L Architekten aus St.Gallen. Herzstück des Büro- und Empfangsgebäudes ist eine frei geformte Treppe aus gebogenen Massivholzplatten, deren Form und Holzbautechnik von den Freiform-Spezialisten bei Blumer Lehmann gemeinsam mit dem ICD Institut für Computerbasiertes Entwerfen und Baufertigung der Universität Stuttgart und dem Ingenieurbüro SJB Kempter Fitze aus Gossau entwickelt wurden. Die Gestaltung des Treppenturms verbindet computerbasierte Planungsmethoden, digitale Fertigung und handwerkliche Holzbaukunst zu einer architektonischen Synthese und macht dadurch die zukunftsweisenden Möglichkeiten des traditionellen Werkstoffs Holz räumlich erlebbar.

Ein Ort der Begegnung 
Das Bürohaus hat die Grundfläche eines einseitig spitzwinkligen Vierecks. Es bietet auf fünf Geschossen Platz für 180Büroarbeitsplätze inklusive Veranstaltungs- und Eventräume sowie eine Cafeteria mit Terrasse im Erdgeschoss. Ein grosszügiges Foyer und die geschwungene Atriumtreppe empfangen die Besucher. K&L Architekten setzten in ihrem Entwurf auf Transparenz, schufen viele Blickachsen für die Kommunikation und integrierten ein geschossübergreifendes Atrium mit der namensgebenden Treppenskulptur als zentralem Element für Begegnungen. Im zweiten Obergeschoss verbindet eine Passerelle den Neubau mit der benachbarten Produktionshalle. Dort sind im Obergeschoss weitere Büroflächen geplant. 

Nachhaltige Arbeitsplätze 
Die Büroflächen erstrecken sich entlang der Aussenfassaden, während sich die Besprechungs- und Rückzugsräume, Teeküchen und Garderobennischen um den mit grünlasierter Weisstanne verkleideten Erschliessungskern gruppieren. In den räumlich flexiblen Büroetagen verbessern Lehmwände das Raumklima und dienen als thermischer Speicher. Der eingefärbte Lehmputz kontrastiert mit den Holzoberflächen und setzt gezielt Farbakzente. Eine gute Raumakustik in den offenen Bürozonen garantieren die Holz-Akustikdecken und ein Naturteppichboden aus Wolle. Auf aktive Kühlung wurde bewusst verzichtet, stattdessen kommen nachhaltige Lowtech-Lösungen zum Einsatz. Warme Luft entweicht über das Atrium, automatisierte Fenster auf allen Geschossen sorgen für Frischluft und eine automatische Nachtauskühlung – am Tag können alle Büroflächen individuell und manuell natürlich gelüftet werden. Durch die umlaufenden Balkone sind alle Fenster im Schatten. Die innenliegenden Besprechungsräume werden über Lehmkühldecken temperiert, deren Kühlleistung durch geothermische Energiepfähle klimaneutral gewonnen wird. 


Neue Verbundtechnik
Umgesetzt wurde das Stammhaus in einer effizienten Bauweise mit sinnvollem Materialeinsatz aus der Region. Das Bürogebäude ist als konventioneller Holz-Skelettbau über mehrere Geschosse organisiert und mit einem Betonkern ausgesteift. Um den vertikalen Erschliessungskern mit Treppenhaus, Nasszellen und Aufzug herum: alles Holz. Die sichtbaren Holzbauteile stammen aus dem eigenen Sägewerk, andere wurden von externen Produzenten zu Halbfertig- und Fertigprodukten verarbeitet. Für die Geschossdecken fand das Projektteam eine besondere Lösung: Der Holz-Beton-Holz-Verbund spart Beton und kommt ohne Verklebung der Komponenten aus. Für die schubfeste Verbindung zwischen den Brettschichtholzrippen der Geschossdecken und den daraufliegenden CLT-Platten wurden Aussparungen in Platte und Balken gefräst, die erst nach der Montage mit Beton ausgegossen wurden. 

Natürlicher Sonnenschutz
Die vorgehängte Fassade verleiht dem Gebäude Tiefe und Schattenspiel. Umlaufende Balkone mit vertikalen Holzlisenen dienen als Sonnen- und Blendschutz für die Arbeitsplätze. Dort, wo mehr Sonnen- und Sichtschutz erforderlich ist, sind zudem horizontal geschichtete Holzstapelelemente montiert. Die Gestaltung der Südwestfassade zum Betriebshof orientiert sich an dem Bild der nebenan im Sägewerk zum Trocknen aufgestapelten Brettstapel. Die «Holzstapel» der Fassade bestehen allerdings aus keilgezinkten Fichtenlamellen, die auf rund 10000 Spriegeln aufliegen – so werden die kleinen Klötze genannt, die bei der Lagerung von Holz als Abstandshalter für die Luftzirkulation dienen. Die Ästhetik der Fassade mit dem Holzschutz zu vereinbaren, war eine weitere Herausforderung, die das Projektteam von Blumer Lehmann zu meistern verstand. 


Herzstück Freiform-Treppe 

Das Herzstück ist das Atrium mit der Freiform-Treppe, die dem Stammhaus seinen Namen gab. Wie ein Baumstamm durchdringt sie alle fünf Stockwerke des Gebäudes und ist vertikale Erschliessungszone und identitätsstiftender Kommunikationsraum zugleich. Im Kontrast zur strengen Rasterstruktur des Gebäudes entfalten die gebogenen Flächen des Atriums einzigartige räumliche Qualitäten. Sie ermöglichen Ein- und Ausblicke, bilden Sitznischen aus und Balkone, die das Atrium mit den umliegenden Geschossebenen zusammenbringen. Nach aussen hin formen die gekrümmten Holzsegmente konvexe, nahezu textil anmutende Wandflächen. 


Zum zentralen Luftraum hin artikuliert die präzise Verschneidung der gekrümmten Elemente eine Abfolge geschwungener Grate, die sich vertikal durch die Geschosse ziehen und im einfallenden Tageslicht als plastisches Relief hervortreten. Für Tageslicht sorgt ein rundes Oberlicht über dem Atrium. Die Leichtkonstruktion aus einem ETFE-Folienkissen mit einem Durchmesser von 8,5 Metern kombiniert Ästhetik mit Leichtigkeit. 


Innovatives Flächentragwerk 

Während K&L Architekten die architektonische Gestaltung und Planung des gesamten Stammhaus-Projekts erarbeitete, entwickelte das ICD der Universität Stuttgart in Zusammenarbeit mit der Bauherrschaft, dem Planungsteam von Blumer Lehmann und den Architekten die Gestaltung der gekrümmten und geneigten Flächen des Atriums und der Treppe. Die Wandelemente aus kreuzweise verleimten, gebogenen Massivholzplatten übernehmen auch eine tragende Funktion. Die Umfassungswände des Atriums haben einen Radius von drei Metern. Dank ihrer Krümmung erreicht die Struktur eine aussergewöhnliche Steifigkeit, die einen Wandaufbau von maximal 130 Millimetern ermöglicht. 


Die tragende innere Wange der Treppenskulptur ist sogar nur neun Zentimeter dick. Trotz dieser geringen Materialstärke gewährleistet die Struktur die Lastabtragung über fünf Geschosse hinweg und trägt sowohl die Treppenanlage als auch die angrenzenden Geschossdecken und die darüberliegende Dachstruktur. Die Verwendung von gekrümmten Bauteilen mit nur zwei unterschiedlichen Radien trägt zur konstruktiven Effizienz bei. Die unterschiedlichen Treppenteile erzeugen ein Spiel aus Linien und Kurven.


Computerbasierte Planung 

Die präzise Balance der konstruktiven, statischen und fertigungstechnischen Aspekte stellte eine der besonderen Herausforderung dar. Unterstützt durch das Ingenieursteam von SJB Kempter Fitze modellierte das Planungsteam die Elemente für die automatisierte Fertigung in einem Computermodell. Die Entwurfsmethoden ermöglichten, die Komplexität der Struktur präzise zu steuern. Nach den Planungsvorgaben wurden die gekrümmten Bauteile von Blumer Lehmann aus «CLT curved» gefertigt. Die Geometrie der Bauteile und deren Verbindungen mit ihren vielen tausend Vorbohrungen in unterschiedlichen Winkeln waren höchst anspruchsvoll. Bei der Montage bewährte sich der hohe Aufwand für die präzise Fertigung: Alle unterschiedlich geneigten Fugen der gebogenen Platten passten exakt zusammen. 


Das freigeformte Atrium bot Blumer Lehmann eine gute Gelegenheit, die Zusammenarbeit mit dem ICD Institut für Computerbasiertes Entwerfen und Baufertigung der Universität Stuttgart fortzusetzen. Für die Wissenschaftler ergab sich die Chance, die computergestützten Planungs- und Fertigungsmethoden für die gekrümmten Holzbauteile im Rahmen eines Forschungsprojekts weiterzuentwickeln. Für Blumer Lehmann als Industriepartner stand im Fokus, das spezielle Atrium-Design technisch und baulich zu realisieren. Die geometrisch anspruchsvoll geformten Platten wurden schliesslich mit Holz aus dem eigenen Sägewerk gefertigt.


Das «CLT curved» aus kreuzweise verleimten, gebogenen Massivholzplatten – hergestellt aus Fichte-Rohlamellen aus dem eigenen Holzwerk – wird von Blumer Lehmann derzeit als Produkt für eine internationale Zulassung weiterentwickelt.

150 Jahre Blumer Lehmann

Seit 1875 bestimmt die Faszination fürs Holz das Denken und Handeln von Blumer Lehmann. Als eine führende Unternehmensgruppe in der Holzindustrie und im Holzbau nutzt die Firma die Potenziale von Holz in seiner ganzen Vielfalt und treibt die Holztechnologie international voran. Rund 500 Mitarbeitende engagieren sich am Hauptsitz in Gossau (SG) wie auch an weiteren Standorten in der Schweiz, Deutschland, Österreich und Luxemburg sowie im Einsatz auf der ganzen Welt für die unterschiedlichsten Kundenprojekte. Das Unternehmen verarbeitet den natürlichen Rohstoff Holz im nachhaltigen, kompletten Wertschöpfungskreislauf zu innovativen Produkten, Dienstleistungen und Bauten. So entsteht im Säge-, Hobel- und Keilzinkwerk aus jährlich rund 170 000 Kubikmeter Schweizer Rundholz das umfangreiche Schnittholzsortiment für den Baubedarf. Das Restholz wird zu Rindeneinstreu und CO2-neutralen Pellets verarbeitet und als Energiemasse im eigenen Kraftwerk zur Strom- und Wärmeerzeugung genutzt. Im Holzbau entwickelt, plant, produziert und realisiert Blumer Lehmann Neubauten – darunter Freiform-Projekte in Zusammenarbeit mit international renommierten Architekturbüros. Ein weiteres Spezialgebiet des Betriebs sind Silos und Anlagen für den Strassen- und Winterdienst. blumer-lehmann.com


Bürogebäude «Stammhaus»

Projekt: Neubau Büro- und Verwaltungsgebäude im Erlenhof, Gossau (SG)
Bauherrschaft: Blumer Lehmann, Gossau 
Fertigstellung: Ende 2024
Architektur: K&L Architekten AG, St.Gallen
Entwurf Atriumstruktur: ICD Institut für Computerbasiertes Entwerfen und Baufertigung, Stuttgart (DE)
Statikingenieure Atrium: SJB Kempter Fitze AG, Gossau
Statikingenieure Holz-Skelettbau: Blumer Lehmann, Gossau
GU Holzbau: Blumer Lehmann, Gossau 
Bauweise Atrium: Freiform