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06/24 Das Einraumhaus

BAUEN

Leben in der Wohnbox

In Kreuzlingen reihen sich an erhöhten Lagen schmucke Stadtvillen den Strassen entlang. Sie haben viel Umschwung und eine grossartige Aussicht auf den Bodensee. Eine Eigentümerin baute neben ihrer Villa eine Wohnbox und lebt nun dort.

Text Sue Lüthi Fotos Claudia Reinert Pläne KMD Architekten

 

Im Zentrum steht eine kreative Eigentümerin. Sie hat ein Haus, viel Umschwung und eine tolle Aussicht. Nach dem Auszug der Kinder war ihr das Haus viel zu gross, doch wollte sie eines behalten: die Aussicht.
Diese ist heute in ein rahmenloses Fenster gefasst, das die gesamte Breite und Höhe ihres neuen Hauses ausmacht. Katrin R. hat von der ursprünglichen Parzelle mit über tausend Quadratmetern Fläche einen Teil abgetrennt und sich darauf ein Kleinhaus genau nach ihren Bedürfnissen erstellt. «77 Quadratmeter Wohnfläche genügen mir vollkommen», sagt die Eigentümerin. «Vorher stand hier eine Garagenbox und ich überlegte zuerst, diese auszubauen.» Eine Box ist es geblieben, doch eine so durchdachte und stilvoll eingerichtete, dass sie die Villa nebenan mit dem Reduktionsbeweis überstrahlt.


Die Aussicht auf den Bodensee geniesst die Bewohnerin aus einem Raum, der mit Birkensperrholz ausgekleidet ist. «Das Muster des Holzes hat es mir angetan, die Maserung mit den grossen Wellen ist sehr stimmig, weder langweilig noch aufregend.» Sie hat sich ihre Wohnbedürfnisse gut überlegt und oft über Inneneinrichtung und Materialien recherchiert. Für die Projektarbeit und Baueingabe wandte sich die Frau an die KMD Architekten AG aus Kreuzlingen. Getragen werden die Birkenplanken von einer Holzkonstruktion. Dies war für die Bauherrin und die Architekten keine Frage. Das Holzbauunternehmen Fritschi?+?Griesemer AG aus Güttingen (TG) ist ebenso in der Umgebung bekannt und so fand sich schnell ein Team. Die Ausführungs- und Detailplanung hat danach das Holzbauunternehmen übernommen.


Ein Raum ohne Zwischenwände

Der Kleinbau ist 4,7 Meter breit, 15,5 Meter lang und 4,3 Meter hoch. Er sitzt auf einem Untergeschoss mit massiven Wänden, da ein Teil das Erdreich berührt. In den unteren Teil gelangt man über eine innere Treppe längs der Aussenwand, deren räumliches Geländer zu einem Sideboard aus Birkenholz verarbeitet ist.


«Unsere grösste Herausforderung war das präzise Setzen des Holzkörpers», sagt Roman Vollenweider. Der Inhaber und Geschäftsführer der Fritschi?+?Griesemer AG erklärt, sie hätten den Rahmenbau mit Ständern (240?mm) und einer Fassadenbekleidung aus Weisstanne in drei Wochen im Werk vorgefertigt.
Da der Baukörper keine Innenwände hat, waren in der Länge verteilt vier HEA-Stahlrahmen (160 mm) nötig, um die Aussteifung zu sichern. Die Schachtel, wie Roman Vollenweider das Wohngeschoss nennt, wurde in einem Tag angeliefert und aufgerichtet, respektive mit dem Kran genau waagrecht auf die Beton- und Kalksandsteinwände abgelegt. «Ich hoffte schon sehr, dass die gemauerten Wände nicht umfallen», sagt Roman Vollenweider. Zwischen den Holzständern isoliert Zellulose (240 mm) gegen die Kälte, vor Ort haben die Mitarbeitenden einen Lattenrost, 60 Millimeter Schafwolle und zum Schluss das 15 Millimeter starke Birkensperrholz montiert, das von einer UV-Beschichtung gegen Vergilben geschützt ist. «Wie das aussehen würde, konnte ich mir nicht recht vorstellen», sagt der Zimmermeister, «alles rundum im gleichen Holz». Er schlug andere Holzarten vor, doch die Eigentümerin bestand auf Birke. Im fertigen Zustand gibt Vol­lenweider zu, dass er die Gestaltung sehr gelungen findet.


Das gesamte obere Geschoss besteht aus einem offenen Raum, der sich Richtung See im Norden und zum Zugang im Süden orientiert. Die beiden sich gegenüberliegenden raumhohen und rahmenlosen Fenster bieten eindrucksvolle Blicke zum See oder auf der anderen Seite zum begrünten Zugang. Dieser besteht aus einer Brücke und einer Terrasse. Von dort gelangt die Bewohnerin in den Wohnbereich im oberen Geschoss.


Alles hat seinen Platz

Die Tragkonstruktion konnte in Schweizer Holz erbaut werden, das Birkenholz stammt aus dem Ausland, es konnte in der gewünschten Menge und Qualität nicht im Lande beschafft werden. Die Verschalung der Fassade mit senkrechten Brettern und Latten aus Weisstanne erhielt einen dunklen Anstrich, im Untergeschoss sind aussen eine Wärmedämmung und ein Verputz aufgebracht, innen sind die Wände roh. Dort befinden sich ein Schlafzimmer und zwei Nassräume. Nur die Wände um das Bad und ein Winkel unter der Treppe sind betoniert, sie geben dem Gebäude statische Versteifung. Ein eingebauter Schrank und raumhohe Schiebetüren sind ebenfalls in Birkenholz gefertigt. Auf den Böden liegen Terrazzoplatten, das Flachdach ist extensiv begrünt und bietet Fläche für die Photovoltaikanlage. Als Heizsystem dient eine Erdsonde, deren Technik unter dem Schlafzimmer in einem kleinen Keller versorgt ist. Mit dem Schwedenofen im Wohnbereich kann zusätzlich Wärme und Gemütlichkeit entfacht werden. Die Bauherrin hat sich nun auf ihr neues Anwesen zurückgezogen und fühlt sich da bestens. Klar hätte sie an Material reduzieren müssen und auch wollen – es stimme nun so. Sie habe alles, und alles finde seinen Platz. Eine Sache möchte sie aber noch loswerden: Die Villa ist zum Verkauf ausgeschrieben.
kmd-architekten.ch

Einraumhaus

Neben Stadtvilla, Kreuzlingen
Fertigstellung: 2023
Bauherrschaft: privat
Architektur: Klein Müller Dietrich 
Architekten AG, Kreuzlingen (TG)
Holzbauingenieur: Krattiger Engineering AG, Happerswil (TG)
Holzbau: Fritschi + Griesemer AG, Güttingen (TG)
Verwendetes Holz: Fichte, Tanne, Weisstanne (25 m3), Birkensperrholz (210 m2)
Kosten Holzbau: 195 000 CHF
Gebäudevolumen: 253 m3
Geschossflächen: 77 m2 (Wohnfläche), 23 m2 (Technik, Keller)


Fritschi+Griesemer AG

Roman Vollenweider ist seit drei Jahren der Geschäftsführer der Fritschi + Griesemer AG in Güttingen (TG) und seit 2024 auch der Inhaber der Firma. Der 37-jährige Polier und Zimmermeister hat ein Unternehmen übernommen, das in über 120 Jahren zu einer Firma mit verschiedenen Bereichen rund um den Holzbau gewachsen ist. Adam Griesemer startete seiner Zeit mit einem Zimmermannsbetrieb, der mehrere Generationen über in familiären Händen blieb. 2007 übernahm Theo Fritschi die Griesemer Holzbau AG und erwirkte die Umbenennung in Fritschi?+?Griesemer AG. Für den Elementbau von Einfamilien- und Mehrfamilienhäusern entstand danach eine neue Produktionshalle und 2020 wurde die Geschäftsleitung durch Roman Vollenweider und Hampi Niederer erweitert. Das Unternehmen beschäftigt 45 Mitarbeitende, inklusive den Bereichen Schreinerei, Bedachungen und Spenglerei.
fritschi-griesemer.ch