Magazin FIRST

Bauen und leben mit Holz – Das Fachmagazin von Holzbau Schweiz

Magazin Wir HOLZBAUER

Das Mitglieder- und Verbandsmagazin von Holzbau Schweiz

01/24 Holzbau für Helden

BILDEN

Beruf der tanzenden Hölzer

In einer Welt, die von Technologie und Bildschirmen dominiert wird, erstrahlt der Beruf der Zimmerleute als lebendige Ode an die Handwerkskunst. Zimmerleute sind die Architekten der Vergangenheit, die Bauleute der Gegenwart und die Planer der Zukunft. Ihr Berufsstolz schwebt wie ein majestätischer Dachstuhl über den Baustellen.

Text Sue Lüthi Bilder Holzbau Schweiz Grafik Martina Brönnimann

Zimmerleute waren schon immer Männer – heute auch Frauen – mit klugen Köpfen und Rückgrat. Sie waren es, die für das Entwerfen von Gebäuden, für die Berechnung und Definition der Stabilität und Standfestigkeit zuständig waren sowie auch für das Aussehen. Die Gestaltung, also die Architektur, lag vor 800 Jahren mehrheitlich in den Händen von Zimmerleuten und Steinmetzen. Der Beruf war angesehen und hatte einen hohen Stellenwert, und diesen haben sie geschützt. Damit es nicht zu viele Gesellen und Meister in einem Gewerk gab, hütete die Zunft strenge Zulassungsbedingungen. Diese ersten Hinweise auf Lehrlinge tauchten ebenso im 12. Jahrhundert auf. Oft bildeten sich talentierte Zimmerleute, Maurer oder Steinmetze zum Baumeister, später Architekten genannt, weiter.


Von der Zunft zum Verband

Durch den Zusammenschluss des Berufsstandes entstanden die Zünfte. Sie legten klare Regeln fest, was sich für einen Berufsmann ziemt. Die Zunft regelte im Sinne der heutigen Berufsverbände die Ausbildung und Weiterbildung. Die Zunftmeister und Zunfträte hatten grossen politischen Einfluss, da sie oft hohe Ämter innehatten. Für die Zunft zur Zimmerleuten galt das Motiv «Bau und Holz». So fanden sich hier Zimmerleute, Schreiner, Drechsler, Wagner, Steinmetze, Maurer, Hafner, Küfer und Rebleute zusammen.
Heute hat die Zunft zur Zimmerleuten eine rein gesellschaftliche Stellung und ist mit rund 140 Mitgliedern als Verein organisiert. Nach der Französischen Revolution um 1800 verloren die Zünfte ihre Macht. Nachher und während der Industrialisierung traten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vermehrt den Gewerkschaften bei. Die Forderungen nach höheren Löhnen und besseren Arbeitsbedingungen brachten die Zimmerleute dazu, sich selbst zu organisieren, und so entstand 1906 der Schweizerische Zimmermeisterverband. Bald schloss dieser sich dem Baumeisterverband an, was nicht allen Sektionen behagte. 2003, also hundert Jahre später, haben sich die Zimmerleute von diesem Verband gelöst und den Verband Holzbau Schweiz gegründet. zimmerleuten.ch, holzbau-schweiz.ch

 

 

 


«Auf der Walz stehen dir alle Türen offen»
Früher sah die Tradition vor, dass ein Geselle durch die Welt ziehen musste, bevor er sich niederliess. Die Walz war lange Voraussetzung für die Meisterprüfung. Auch heute noch gehen Zimmerleute auf die Walz. Thomas Meister aus Thayngen (SH) war von 2003 bis 2007 unterwegs. Er ist dem Rolandschacht angegliedert. Im Rolandschacht reisen alle Bauberufe. Die Treffen finden in Kneipen statt, wo Rituale gelebt werden. Ein Schacht ist Anlaufstelle für die reisenden Gesellen, genannt Fremde, wo sie mit «Einheimischen», die die Walz beendet haben, in Kontakt kommen.


Unter den Berufsleuten herrscht ein grosses Vertrauen. Sie sind gut vernetzt und kommunizieren untereinander mündlich. Während der Reise, die mindestens drei Jahre und einen Tag dauert, haben sie kein Telefon dabei und nur das Geld, das verdient wird. Die Regeln werden eisern eingehalten, das ist Ehrensache. Thomas Meisters Tippelei ging von der Schweiz nach Deutschland und dann ostwärts. Er fuhr mit dem Schiff nach Rostock (D), mit der Transsibirischen Eisenbahn durch Russland und die Mongolei bis nach Peking (CHN). Darauf folgten 1300 Kilometer mit dem Velo nach Schanghai. Auf der Reise, losgelöst vom System, ohne Verpflichtung und Pläne, lerne man, mit ganz wenig auszukommen, sagt Meister. «In der Kluft stehen dir alle Türen offen. Handwerksgesellen sind Ehrenleute, man gibt ihnen gerne Arbeit und Unterkunft. Gesellen gehören zu keiner politischen Schicht und kommen dadurch in Kontakt mit Menschen von unterschiedlichstem Stand.» Verhält sich einer unehrenhaft, wird ihm der Ohrring abgerissen und er ist gekennzeichnet. Daher stammt der Begriff Schlitzohr.


Regeln für die Wanderschaft

  • Besitz des Fähigkeitszeugnisses
  • Ledig, kinderlos, unter 27 Jahre alt sein
  • Schuldenfrei sein
  • Bannkreis von 60 km um den Heimatort
  • Reisen per Anhalter oder nur mit verdientem Geld
  • Maximal 3 bis 3,5 Monate pro Arbeitsort
  • An Gesellentreffen teilnehmen
  • Kein Mobiltelefon
  • Mindestdauer: drei Jahre und einen Tag

rolandschacht.org, unesco.de/kultur-und-natur-immaterielles-kulturerbe

Die Kluft

Die Tracht der Zimmerleute, wie wir sie heute kennen, hat sich erst im 19. Jahrhundert entwickelt. Die Gesellen sollen gepflegt aussehen, aber nicht wohlhabend, die Kleidung besteht möglichst aus naturbelassenen Materialien.

1. Schwarzer Filzhut mit mindestens 5 Zentimeter breiter Krempe
2. Ehrbarkeit (Schlips und Handwerksnadel) im obersten Knopf der Staude
3. Staude, ein kragenloses weisses Hemd
4. Weste mit acht Knöpfen, Symbol für die acht Arbeitsstunden
5. Schwarze Jacke mit 6 Knöpfen aus Perlmutt, Symbol für die sechs Arbeitstage; drei Knöpfe am Ärmel, diese stehen für die drei Wanderjahre
6. Schwarze lange Hose, meist mit Schlag, damit die Späne nicht in dieSchuhe geraten
7. Dunkler Gürtel mit Schloss und Handwerkswappen
8. Dunkle Lederschuhe
9. Stenz, ein gedreht gewachsener Stock
10.Zunftuhrkette mit Wappen der Städte, in denen der Geselle gearbeitet hat
11.Ohrring
12.Charlottenburger (Charly), Gepäckbündel aus Tüchern geschnürt
(für Ersatzkleider und Werkzeug)


Oberster Handwerker

Der Begriff Zimmermann hat sich wie das Wort Zimmer aus althochdeutsch Zimbar gebildet. Dies bedeutete Bauholz, davon abgeleitet wurde der Begriff Bau. Die ursprüngliche Bedeutung von Bauholz ist zum Beispiel im Englischen mit «timber», im Schwedischen mit «timmer» und im Dänischen mit «tømmer» erhalten geblieben. Der Begriff Architekt kommt aus dem griechischen «architékton», was so viel bedeutet wie Oberster Handwerker, Baukünstler.