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05/2025 Hochprozentig

BAUEN

Hochprozentiges in Holz

Die Appenzeller Alpenbitter AG verarbeitet nicht nur Kräuter, sondern auch grosse Gewächse: Mit Bäumen der eigenen Wälder baut die Firma zurzeit ihren Standort aus. Mehrere Betriebe der Holzbranche sind involviert. Die Holzin AG hat in einer ersten Etappe den gesamten Holzbau inklusive der Fassade und des Hochregallagers realisiert.

Text Sue Lüthi Bilder, Pläne Appenzeller Alpenbitter AG, Lukas Imhof Architektur GmbH 

Aus 42 Kräutern braut die Appenzeller Alpenbitter AG seit bald 125 Jahren einen würzigen Likör und hat damit weltweit Erfolg. Die Spirituosenhandlung liegt seit der Gründung 1902 mitten im Ort. Mit den Jahren ist das Unternehmen auf rund 40 Mitarbeitende gewachsen und ein Neubau wurde nötig. Damit können externe Lager aufgelöst, Logistikprozesse optimiert und die Fahrwege der Lastwagen reduziert werden. 


Das Herzstück des Siegerprojekts der Lukas Imhof Architektur GmbH ist eine neue Lagerhalle mit Satteldach, die als erste Etappe erstellt wurde. Das Hochregallager ist mit den bestehenden Bauten verbunden, die aktuell in einer zweiten Etappe aufgestockt werden. Das Projekt entstand durch einen Projektwettbewerb. «Der Erweiterungsbau ist vom Viadukt der Appenzeller Bahnen her gut sichtbar und soll auch eine Visitenkarte für Appenzell sein», erklärt Pascal Loepfe-Brügger, Geschäftsführer der Appenzeller Alpenbitter AG. 


Alpenbitter ist Waldbesitzer

Das Unternehmen ist ein Familienbetrieb und bewirtschaftet nicht nur eigene Kräuterfelder, sondern ist auch der grösste Privatwaldbesitzer des Kantons Appenzell Innerrhoden. Regionalität und Nachhaltigkeit stehen im Betrieb zuoberst auf der Liste. So war es naheliegend, mit Holz aus dem eigenen Wald und mit Unternehmen aus der Umgebung zu bauen. Die neue Halle des Hochregallagers ist 37,80 Meter breit, misst auf der Nordseite aussen fast 60 Meter und auf der Südseite 47,5 Meter. Der First ist aussen auf rund 15 Metern Höhe. Dieses Volumen ohne Stützen und in Holz zu realisieren, war die Aufgabe. Die Planenden schlugen eine Tragwerkskons­truktion als Dreigelenkrahmen mit biegesteifer und aufgelöster Rahmenecke durch Zugstange vor. In Querrichtung tragen zwischen den Gebäudekurzseiten sechs Brettschichtholz-Binder aus Fichtenholz die Last. Neben den Bindern nehmen Druckbalken die Bewegungen des Dachs auf. Der grösste Binderbalken weist eine Länge von 27,6 Metern und eine Höhe von 2,46 Metern auf. Längs erfolgt die Gebäudeaussteifung über die Aussenwände. Mithilfe der Zugstangen, die die Binder ausserhalb der Südfassade im Boden verankern, konnte ein maximales Raumvolumen gefasst werden. 


Reto Manser, Teilhaber der Holzin AG in Appenzell, leitete die Holzbauarbeiten. Der Bau sei eine enge Zusammenarbeit mit den Betrieben vom Forst, der Sägerei, dem Abbund und den Leimwerken, so Manser. Als Mitglied der Geschäftsleitung arbeite er heute meistens im Büro, doch bei dieser Aufrichte sei er teilweise dabei gewesen: «Do bisch all i dä Loft!» So viel Arbeit in der Hebebühne war speziell, es fühlte sich an wie auf See, sagt der 46-Jährige.


Die Halle mit dem exzentrischen First dient als Lager für die kostbaren Flaschen mit dem hochprozentigen Inhalt. 29 Volumenprozente weist das Getränk auf. Die Regale sind aus Appenzeller Fichte und Tanne, und dort, wo die Paletten ein- und ausgeschoben werden, erhielt das Gestell eine Verstärkungsleiste aus Buche. Rund 2000 Quadratmeter Schuler-Blockholzplatten sind dort verbaut. Alkohol in einem Hochregallager erfordert ein objektbezogenes Brand- und Explosionsschutzkonzept. Die Brandsicherheit wird durch Sprinkler sichergestellt. In der gesamten Halle sind im Dach zwischen den Bindern und in den Regalen auf jeder Palettenebene rund 1400 Sprinkler montiert.


Ein prägendes Element sind die acht Zugstangen, die die Binder ausserhalb der Südfassade im Boden verankern. Sie sind fast elf Meter lang und sie ziehen die Binderenden über die Holzpfosten auf das Fundament. Zur Eigenlast gesellen sich für die Berechnung hohe Schneelasten. Die schräge Auskragung im Pfosten-Riegel-System ist mit Glas ausgebildet. Schönes, indirektes Tageslicht strömt dort in die Halle. 
Die mächtigen Holzstützen (72cm×28cm) sind in die Fassadenebene gedrückt, damit sie nicht zu viel Raum nehmen. Aussen stehen die Konsolen acht Zentimeter vor und die Fassadenebene schwingt sich einfach mit einer Welle darüber.


Grossformatige Schindeln

Das klassische und ortstypische Thema der Holzschindeln wurde massstabsgerecht auf den Industriebau adaptiert. 18000 Fichtenbretter (75cm×15cm) sind in horizontalen Bändern als sogenannte Hochtiefschalung montiert, wobei die einzelnen Bänder wiederum als Stülpschalung angeordnet sind. So entstand eine Schindelfassade, die die grossen Flächen des Gebäudes wohltuend belebt. 15 Wochen lang haben zwei bis vier Mitarbeitende der Holzin AG die Schindeln montiert.


Die Ostseite des Hochregallagers blickt zur Eisenbahnlinie, die dort über ein Viadukt führt. Dort liegt die Zufahrt für die Anlieferung, die Selbstabholung und das Speditionsbüro. Die zweite Etappe betrifft die bestehenden Lager- und Büroraume. Sie werden aufgestockt, doch die Dächer bleiben gestaffelt und abgestuft. Der First läuft jedoch durch und hält die Bauten zusammen. 
lukasimhof.ch

Holzin AG

Die beiden Schreiner Bruno Inauen und Christian Neff gründeten im Jahr 2000 das Unternehmen Holzin (I für Inauen, N für Neff). Kurze Zeit später stiess der junge Zimmermann Reto Manser (Bild oben) zum Team und brachte seine Erfahrung im Holzbau ein. Sowohl die Schreinerei als auch die Zimmerei sind seit der Gründung der Holzin AG stetig gewachsen. Im Jahr 2012 wurden in Appenzell die Fernheizzentrale und ein Erweiterungsbau realisiert. In diesem Gebäudeteil ist heute die Zimmerei mit einem Schmetterlings-Abbundtisch und weiteren modernen Anlagen eingerichtet. Seit 2023 präsentiert sich die Holzin AG mit einer neuen Ausstellung im Dorfkern von Appenzell – unter anderem mit Küchen, Badmöbeln und Türen. Anfang dieses Jahres sind Reto Manser (46) und Fabian Rüegg als Teilhaber ins Unternehmen eingestiegen, das heute rund 85 Mitarbeitende beschäftigt – darunter 18 Lernende, von denen acht den Beruf Zimmermann/Zimmerin lernen. holzin.ch


Neue Lagerhalle für Spirituosenhandlung

Projekt: Betriebserweiterung in zwei Etappen
Neubau Hochregallager 2025 (erste Etappe)
Lager- und Büroaufstockung 2026 (zweite Etappe)
Bauherrschaft: EECO Immobilien AG (Appenzeller Alpenbitter AG), Appenzell
Architektur: Lukas Imhof Architektur GmbH, Zürich
Holz- und Brandschutzingenieur: B3 Kolb AG, Romanshorn (TG)
Baumanagement und Bauingenieur: B3 Brühwiler AG, Romanshorn (TG)
Holzbauunternehmen: Holzin AG, Appenzell
Schreinerarbeiten: Holzbau P. Manser AG, Appenzell
Holzschlag: Forst-Team GmbH, Appenzell
Blockholz: Pius Schuler AG, Rothenturm (SZ)
Schnittholz: Klostersägerei Magdenau (SG)
Leimholz: Neckerholz AG, Brunnadern (SG)
Binder: Hüsser Holzleimbau AG, Bremgarten (AG)
Holzabbund: Holzabbund Sutter GmbH, Gonten (AI)
Bruttogeschossfläche (total beide Etappen): 3200 m2
Holz, Art und Menge (total): Das Holz (Fichte/Tanne/Buche) 
stammt ausschliesslich aus der nahen Umgebung; 
Konstruktionsholz: 573 m3; Blockholzplatten 60 mm: 3400 m2
Dreischichtplatten 27 mm: 382 m2
Gebäudekosten total: CHF 12 Mio.