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06/2025 Kontrastprogramm

BAUEN

Kontrastprogramm

Das historische Nachbarhaus, an das der moderne Holzneubau andockt, ist ein Schmuckstück. Trotz aller architektonischer Unterschiede – oder gerade deswegen – funktionieren die Gebäude als Ensemble. Ein Besuch im Berner Oberland am Thunersee.

Text Susanne Lieber Pläne Baupunktbern Bilder Claudia Reinert; Sandra Blaser Photo­graphy; Baupunktbern; Ivo Dähler

 

Manchmal ist es nur ein vermeintlich unbedeutender Moment, und das Glück nimmt seinen Lauf. So geschehen vor zwanzig Jahren: Eine zufällige Begegnung während eines Waldspaziergangs ermöglichte es einem Paar, ein altes Haus oberhalb des Thunersees zu erwerben. Ein charmantes Kleinod, das scheinbar darauf gewartet hat, aus seinem Dornröschenschlaf geweckt zu werden. Erbaut wurde das Haus mit hölzernen Zierelementen einst von einem Künstler. In der Waschküche zeugt noch heute ein Wandbild mit Dschungelmotiv davon. 


Üppig grün zu geht es auch im Garten, der das abschüssige und rund 1650 Quadratmeter grosse Grundstück terrassiert. Ein eingewachsenes Idyll mit Teich und lauschigen Plätzchen, das nun mit der erwachsenen Tochter geteilt wird: Sie hat direkt neben ihrem Elternhaus gebaut. 

«Wir hatten schon länger darüber nachgedacht, dass man auf der Wiese nebenan ein Tiny House bauen müsste», erklärt die Tochter. «Aber wir dachten, dass der Platz dafür nicht reichen würde», fährt sie fort. Ihr Partner beurteilte die Sachlage differenziert – und das war der Startschuss für das Neubauprojekt. 

Klar abgesetzt

Inzwischen wohnen die Tochter und ihr Mann seit März dieses Jahres in ihrem neuen Domizil, das direkt an das historische Bestandsgebäude andockt und so das Grundstück optimal nutzt. Mit 150 Qua­dratmetern bietet das vermeintliche Tiny House nun deutlich mehr Wohnfläche als ursprünglich erhofft. Wobei für das junge Bauherrenpaar beim Zusammenrücken der Gebäude von vornherein feststand: «Der Neubau darf das bestehende Haus keinesfalls konkurrenzieren – es soll modern sein und sich architektonisch klar abheben.» Ein Wunsch, der von den Architekturbüros Mino Architektur (Entwurf) und Baupunktbern (Ausführung) sowie vom Holzbauunternehmen Jampen AG erfüllt werden konnte. Der Bau setze sich mit seinen klaren Konturen schon von aussen deutlich vom Nachbargebäude mit Zierelementen ab, meint Geschäftsführerin Fabienne Walther zufrieden.


Erschlossen wird der Holzbau vom Obergeschoss, wobei es vom Eingangsbereich direkt ins Wohnzimmer mit offener Küche geht. Erweitert wurde der Raum durch einen Balkon und eine Loggia, von denen aus sich eine fantastische Aussicht auf den Thunersee bietet. Der Blick in den Wohnraum ist allerdings auch nicht zu verachten: Über eine grosse, leicht verspiegelte Glasscheibe – sie bildet die Rückwand der Küchenzeile – kann man überraschenderweise ins etwas höher gelegene Schlafzimmer schauen. Eine innenarchitektonisch ungewöhnliche, aber sehr raffinierte Lösung, denn so wird zum einen der Raumeindruck erweitert, zum anderen ist der See auch direkt vom Bett aus zu sehen.


Alles aus einer Hand

Apropos Bett: Es besteht – wie auch die Wände und die Decke – aus geseifter und gelaugter Fichte. Möbel und Innenraum verschmelzen dadurch zu einer optischen Einheit. Dass Architektur und Möblierung so harmonisch aufeinander abgestimmt sind, ist natürlich kein Zufall. Gefertigt wurde das hohe Betthaupt, auf dessen Rückseite ein Waschtisch mit zwei Aufsatzbecken integriert wurde, ebenfalls von der Jampen AG, die vor knapp einhundert Jahren als Schreinerei gegründet worden ist. Heute umfasst das Unternehmen neben Zimmerei und Schreinerei sogar eine eigene Produktion für Holz- und Holz-Metall-Fenster. Selbstredend, dass sämtliche Fenster aus dem Betrieb in Seftigen stammen – mit einer Ausnahme: das grosse Fenster zwischen Küche und Schlafzimmer. Im Gegensatz zu den anderen Holz-Metall-Fenstern im Haus ist dieses fein gesprosst und in 15 Flächen unterteilt. Damit das Fenster unter der Firstlast nicht zu Bruch geht, wurde darüber ein Unterzug in die Holzständerwand integriert. Der Querträger leitet jetzt den Druck seitlich ab. 


Blickt man im Wohnzimmer hinauf zur Decke, fallen vor allem zwei Dinge besonders auf: Zum einen ist die Firstpfette sichtbar, zum anderen sind die Dreischichtplatten (Fichte) aus akustischen Gründen perforiert. Der Rand allerdings blieb ausgespart und bildet eine Art Fries um jede einzelne Platte. 


Holz – (fast) überall

Auch im Erdgeschoss (hier befinden sich drei Zimmer, ein Bad und Nebenräume) ist Holz allgegenwärtig – obwohl es in Massivbauweise erstellt worden ist. Die Innenwände sind allerdings ebenfalls aus Dreischichtplatten gefertigt, was eine gelungene Verbindung zu den Räumlichkeiten darüber schafft. 

Zusammen und doch getrennt
Was die Verbindung zwischen dem neuen und dem bestehenden Gebäude angeht, wurde bewusst mit Kontrasten gearbeitet. Und so setzt sich die Fassade des Neubaus mit seiner Fichtenschalung (Rift/Halbrift, strukturfein) deutlich vom Nachbarhaus mit den kleinen hellen Rundschindeln ab. 


Eine besondere Herausforderung beim Zusammenführen der zwei Gebäude stellten die Brandschutzmassnahmen dar. «Wir mussten eine entsprechende Gebäudetrennwand einfügen, um die Sicherheitsvorschriften zu erfüllen», erklärt dazu Jürg Dähler von der Jampen AG. Ausserdem galt es, unter der Holzschalung zusätzliche Brandschutzplatten zu integrieren, denn die Gebäude stehen in einem Winkel von rund 15 Grad zueinander. Im Brandfall könnte es zu einem Flammenüberschlag kommen. Auf die Bewohner ist der Funke allerdings längst übergesprungen und sie fühlen sich rundum wohl in ihrem neuen Zuhause – und das ist gar nicht so «tiny» wie ursprünglich gedacht. 
minoarchitektur.ch, baupunktbern.ch

 

 

Jampen AG

Gegründet wurde das Familienunternehmen in Seftigen (BE) 1927 von Friedrich Jampen – seinerzeit als Schreinerei mit zwei Mann. Inzwischen wird der Betrieb bereits in vierter Generation geführt und ist nicht nur personell stark gewachsen, sondern hat sich zu einem Unternehmen entwickelt, das neben der Schreinerei auch eine Zimmerei sowie eine eigene Produktion für Fenster (Holz, Holz-Metall) umfasst. Auch Bodenlegearbeiten gehören zum Portfolio. In der Sparte Zimmerei liegt das Tätigkeitsfeld vorwiegend im Bereich Umbau und Sanierungen, ergänzt durch Arbeiten im Neubau. Insgesamt sind 45 Mitarbeitende bei der Jampen AG tätig, darunter fast ein Drittel Lernende. Damit will das Unternehmen, für das 
übrigens die Schweizer Hürdenläuferin Ditaji Kambundji Botschafterin ist, dem Fachkräftemangel aktiv entgegenwirken. Zum Aktionariat zählen neben Lukas Jampen auch die beiden Unternehmer André Lüthi und Daniel Baumann. Die Geschäftsführung obliegt seit 2024 Fabienne Walther. jampen.swiss


Anbau an ein historisches Wohnhaus

Projekt: Neubau im Berner Oberland
Bauherrschaft: privat
Fertigstellung: 2025
Architektur (Entwurf): Mino Architektur GmbH, Bern
Ausführung (General- und Totalunternehmung): Baupunktbern, Rubigen (BE); Projektleitung: Yannick Müller
Holzbauingenieur: Pirmin Jung Schweiz AG, Thun (BE)
Holzbau: Jampen AG, Seftigen (BE); Projektleitung: Jürg Dähler
Konstruktion/Tragwerk: Ständerbau und Dach als vorgefertigte Elemente
Holzart und -menge: Fichte DUO (10,07 m3), BSH (3,02 m3)
Geschossfläche (SIA 416): 202 m2
Gebäudevolumen: 610 m3
Besonderheiten: perforierte Akustikdecke aus Dreischichtplatten (Fichte)