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Bauen und leben mit Holz – Das Fachmagazin von Holzbau Schweiz

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Das Mitglieder- und Verbandsmagazin von Holzbau Schweiz

02/2021 Auf der Dachterrasse

BEWEGEN

Mehrfachnutzung von Holz stärkt den Klimaschutz

Der Holzbau kann einen wichtigen Beitrag zum Schutz des Klimas leisten. Die Herstellung von Holzbauteilen verursacht deutlich weniger CO2-Emissionen als die Produktion von Beton- oder Stahlelementen. Wird Holz in Gebäuden verbaut, bleibt zudem der Kohlenstoff über viele Jahre sicher gebunden. Diese Speicherung lässt sich nochmals verlängern, indem das Altholz nach dem Rückbau wiederverwendet wird.

Text Nicolas Gattlen | Grafik ZRS Architekten Ingenieure

 

Die Schweiz will bis im Jahr 2050 klimaneutral sein. Allein durch Treibhausgas-Einsparungen lässt sich dieses Ziel nicht erreichen. Helfen sollen künftig auch Technologien, die Treibhausgase direkt aus der Luft absaugen und einfangen, sogenannte Direct-Air-Capture?(DAC)-Verfahren. Das eingefangene CO2 kann anschliessend im Boden eingelagert oder als Düngemittel genutzt werden. Im zürcherischen Hinwil ist seit 2017 eine erste kommerzielle DAC-Anlage in Betrieb; sie filtert pro Jahr 900 Tonnen CO2 aus der Luft. Allerdings benötigen diese Verfahren sehr viel Energie, und die sichere Einlagerung von CO2 im Boden ist äusserst anspruchsvoll.


Allein mit Wasser, Erde und Licht vollbringen Bäume dieselbe Leistung: Über Spaltöffnungen auf der Oberfläche der Blätter und Nadeln nehmen sie CO2 auf und bauen daraus Zucker auf. Dieser dient einerseits als Energielieferant, andererseits als Baustoff, aus dem die Bäume Holz, Rinde, Wurzeln, Blätter oder Nadeln herstellen. Auf diese Weise bindet ein Kubikmeter Holz etwa eine Tonne CO2. Solange ein Baum lebt und wächst, nimmt er mehr CO2 auf, als er durch die Zellatmung (Abbau von Zucker zur Energiegewinnung) abgibt. Erst wenn er stirbt und vermodert, gibt er den im Holz gespeicherten Kohlenstoff an die Luft zurück.


Der Wald ist klimaneutral

Im Schweizer Wald wächst derzeit mehr Holz nach, als genutzt wird oder zerfällt – jährlich nimmt der Wald so 1,5 bis 2 Millionen Tonnen mehr CO2 auf, als er abgibt. Diese Speicherung ist allerdings nur temporär. Denn der Wald ist langfristig klimaneutral – unabhängig davon, ob er als Naturwald der natürlichen Sukzession unterliegt und das Holz im Wald verrottet oder ob er nachhaltig bewirtschaftet und das Holz geerntet wird. Es ist deshalb sinnvoll, die Wälder zu nutzen und möglichst den gesamten jährlichen Holzzuwachs und den gespeicherten Kohlenstoff im Gebäudepark «einzulagern». In Möbeln und Gebäuden bleibt der Kohlenstoff über Jahrzehnte oder gar mehrere Jahrhunderte hinweg sicher gebunden, länger und sicherer als im Wald, wo ein Sturm oder ein Feuer innert Kürze grosse Mengen an CO2 freisetzen kann.

Kohlenstoff im Materialkreislauf
Die Freisetzung des Kohlenstoffs lässt sich weiter hinausschieben, wenn das Holz nach dem Rückbau wiederverwendet wird. Das gelingt umso besser, wenn bereits bei der Planung die weitere Nutzung der Bauteile und -materialien berücksichtigt wird. Hölzer, die mit chemischen Schutzmitteln behandelt wurden, schränken eine spätere Nachnutzung etwa als Parkett oder Holzwerkstoffplatte massiv ein. Wichtig sind auch flexible Konstruktionen, welche die Reparatur, den Austausch und die Wiederverwendung von Bauteilen erleichtern. Prioritär sollten gedübelte, genagelte und geschraubte Lösungen gewählt werden. Wo Verschraubungen oder mechanische Verbindungen aus statischen oder optischen Gründen nicht möglich sind, besteht zum Teil die Möglichkeit, diese als ganzes Bauteilelement wieder zu verwenden (z.?B. Brettstapeldecken oder Hohlkastendecken).


Heute werden in der Schweiz rund 45 Prozent des Altholzes stofflich weitergenutzt. Dieser Anteil könnte noch deutlich erhöht werden, etwa mithilfe von Holzschutzmittelanalysen. Ein von der EU finanziertes Forschungsprojekt (RE4) zeigt, dass sich solche Analysen durchaus lohnen. Bei vielen rückgebauten Holzbalken stellte sich heraus, dass die im Tauchverfahren angebrachten Holzschutzmittel nur knapp drei Millimeter tief eingedrungen waren. Wenn man also fünf Millimeter abhobelt, hat man wieder reines Material. Die Autoren des Forschungsprogramms schlagen zudem vor, dass das Entnageln von Altholz industrialisiert wird – ähnlich wie bei der Herstellung von Leimholz, wo Bretter auf Äste untersucht und diese herausgefräst und ersetzt werden. Also ginge das auch für Nägel und andere metallische Verunreinigungen, die sich mit Metalldetektoren orten lassen.


Bedeutende Substitutionseffekte

Die Wiederverwendung von Altholz spart zudem CO2-Emissionen ein, die bei der Herstellung von Bauteilen aus Frischholz oder aus anderen Materialien anfallen. Insbesondere im Vergleich zu Beton, Stahl, Aluminium und Backstein weist der Werkstoff Holz eine deutlich bessere Gesamtenergie- und CO2-Bilanz auf (siehe Box). Wird das Holz zuletzt energetisch genutzt, kann es ausserdem CO2-Emissionen aus fossilen Energieträgern einsparen. Berechnungen des BAFU zeigen, dass sich so um das Jahr 2025 in der Schweiz jährlich gut acht Millionen Tonnen CO2-Emissionen vermeiden liessen, was rund 15 Prozent der aktuellen jährlichen Treibhausgasemissionen entspricht. Gegenüber dem im Jahr 2000 geschätzten CO2-Effekt der Holzanwendung bedeutet dies eine zusätzliche Einsparung von sechs Millionen Tonnen pro Jahr.

Potenzial wird nicht ausgeschöpft

Dieses Potenzial kann aber nur ausgeschöpft werden, wenn in den Schweizer Wäldern mehr Holz geschlagen und das Holz kaskadenartig genutzt wird – erst als Baumaterial und zuletzt als Brennstoff. Heute werden fünf bis sechs Millionen Kubikmeter Holz aus dem jährlichen Zuwachs von rund zehn Millionen Kubikmetern geerntet. Ohne die Wälder zu übernutzen, könnten rund acht Millionen Kubikmeter vom jährlichen Zuwachs geerntet werden. Hinzu kommt, dass das geerntete Holz zunehmend für die Energie- und Wärmegewinnung verwendet wird, während Holzwerkstoffe mit grossem Energieaufwand aus dem Ausland importiert werden. Der Klimaschutz würde erheblich gestärkt, wenn die hiesigen Bauunternehmen mehr Schweizer Holz verwenden.

Graue Energie und CO2-Emissionen von Holzbauteilen

Holzbauteile weisen eine bessere Gesamtenergie- und CO2-Bilanz auf als Massivbauelemente. So verursacht beispielsweise ein Kubikmeter Massivholz nur 49 Kilogramm CO2-Emission, während für die Herstellung von einem Kubikmeter Stahlbeton etwa 300 Kilogramm CO2 ausgestossen werden – mehr als das Sechsfache. Allerdings gibt es beträchtliche Unterschiede beim Holz: Massivholz schneidet am besten ab, weil es nicht aufwendig verarbeitet wird und keine zusätzlichen Stoffe zum Einsatz kommen. Die Trocknung und Verleimung (inklusive Herstellung der Leime) kann bis zu 60 Prozent der grauen Energie eines Holzwerkstoffs ausmachen. Auch der Transport schenkt ein: Ein Kubikmeter Brettschichtholz, der aus Ungarn oder Österreich importiert wird, verursacht fast 80 Prozent mehr CO2-Emissionen als das in der Schweiz produzierte Brettschichtholz. Mithilfe des Holzrechners lassen sich die Umweltbelastungen und Treibhausgas-Emissionen von Holz und Holzwerkstoffen aus verschiedenen Ländern einfach berechnen. treeze.ch/de/rechner


Bauteile wiederverwenden

Die Digitalisierung eröffnet ganz neue Möglichkeiten für die Wiederverwendung von Bauteilen. So lassen sich heute über die BIM-Technologie 3D-Modelle mit Materialpässen verknüpfen. Diese Pässe enthalten Informationen über die Abmessungen, das Material und die Qualität eines Elements. Künftig könnten die Materialpässe von Gebäuden in grossen Bibliotheken zusammengefasst werden. Der gemeinnützige Verein Madaster treibt diese Inventarisierung schweizweit voran – mit dem Ziel, Kreislaufprozesse in Gang zu setzen und den Wandel hin zu einer ressourcenschonenden und klima-verträglichen Bauwirtschaft zu fördern. Eine
erste kostenpflichtige Plattform (Madaster) steht interessierten Unternehmen bereits zur Verfügung (die Bauteile können darin auch manuell erfasst werden, wenn das Projekt nicht mit BIM geplant wird).