02/2022 Archaisch
BAUEN
Projekte realisieren mit der Schweizer Berghilfe
Auf den Reliefs, die Éric Marguets CNC-Maschinen in Holzplatten fräsen, ist jedes kleinste Detail zu sehen. Mit viel Herzblut und noch mehr Fachwissen bewahrt Rolf Steinbacher das alte Handwerk des Schindelmachens. Die Abgeschiedenheit einer SAC-Hütte mit dem Komfort eines modernen Hotels kombinieren – das wollten Sara und Romano Frei-Elmer im Berghotel Mettmen bieten. Drei Projekte, die zwei Umstände eint: Holz spielt eine zentrale Rolle, und mit der Unterstützung der Schweizer Berghilfe konnten sie realisiert werden.
Text Max Hugelshofer, DB | Bilder Yannick Andrea, Schweizer Berghilfe
Das grosse, neue Holzhaus, wenige Meter von der Grenze zu Frankreich entfernt, ist unübersehbar. In den oberen Stockwerken ist eine Firma untergebracht, die Blockhäuser konstruiert. Im Erdgeschoss aber ist bereits die Zukunft angekommen. Hier hat sich Éric Marguet mit seiner Firma Gravity Swiss eingemietet. Der Informatiker, Mikrotechnikingenieur und Dozent an einer Hochschule hat seinen gutbezahlten Job gekündigt, um auf Basis von grossen Datenmengen Grosses zu erreichen.
Kleinste Details dank Big Data
«Wer künftig in der Lage ist, das Potenzial von Big Data am effizientesten auszuschöpfen, der hat gewonnen», ist er überzeugt. In jahrelanger Arbeit entwickelte er einen ausgefeilten Algorithmus. Der sorgt – vereinfacht gesagt – dafür, dass riesige Datenmengen viel effizienter und damit mit weniger Rechenleistung und weniger Zeitaufwand verarbeitet werden können. In der Industrie ist die Bandbreite möglicher Anwendungen riesig. Das reicht von der serienmässigen Produktion von feinstem Schmuck oder Gussformen für Plastik oder auch Schokolade bis hin zu Prothesen, die so genau dem menschlichen Körper nachgebildet sind, dass sie sogar Blutbahnen und Nerven nachbilden und somit gleich funktionieren wie die Körperteile, die sie ersetzen sollen. Doch das ist noch Zukunftsmusik. Was Éric Marguet fehlte, war eine Plattform, potenzielle Kunden von den Möglichkeiten seiner Technologie zu überzeugen. Also besorgte er sich einen Datenspeicher gefüllt mit Geodaten von Swisstopo und eine gebrauchte CNC-Fräse. Dann schaltete er einen leistungsfähigen Computer mit seinem Algorithmus dazwischen. Mehrere Tage lang arbeitete die Maschine ununterbrochen, dann war es fertig: ein Relief der ganzen Schweiz, absolut detailgetreu und in einer hundertfach besseren Auflösung als alles, was bisher je aus einem 3D-Drucker oder einer CNC-Maschine kam.
Das Relief zeigte Éric Marguet seinen Freunden und Bekannten und zu seiner Überraschung waren das Echo und die Begeisterung riesig. Allerdings war der Aufwand noch zu gross. «Ein Relief hätte über 10 000 Franken gekostet», sagt er. Er programmierte weiter, verbesserte die Protokolle, und der Preis sank auf rund 1000 Franken. Es kamen Aufträge herein, ohne dass Marguet Werbung machen musste. Und es blieb nicht bei der Schweiz. Es folgten Reliefs vom Grand Canyon, von japanischen Inseln oder von der Umgebung des Mont Blanc. Marguet erkannte, dass die Reliefs eine Möglichkeit sind, seine Forschung zu finanzieren und soweit voranzutreiben, bis er erste Aufträge aus der Industrie übernehmen kann. Er, der für seine Vision nicht nur den Job aufgegeben, sondern auch Haus und Auto verkauft hatte, schaffte sich mit Unterstützung der Schweizer Berghilfe zehn einfache CNC-Fräsen an. Die produzieren nun rund um die Uhr diverse Reliefs. Die Auflösung ist dabei so hoch, dass zum Beispiel auf einem Relief des Kantons Neuenburg jedes einzelne freistehende Haus erkennbar ist. Auch das Holzhaus, in dem das Relief entstanden ist.
berghilfe.ch/projekte/kleinste-details-dank-big-data, gravity.swiss
Mehr als nur Fassade
Ein rhythmisches Klopfen durchbricht die vormittägliche Stille bei der Kirche in Mels (SG). Es kommt von der Baustelle beim eingerüsteten Pfarrhaus. Dort arbeitet einer, der am linken Daumen einen etwas längeren Fingernagel trägt. Er heisst Rolf Steinbacher und ist Schindelmacher. Der lange Nagel hilft ihm beim Greifen der feinen Nägel aus der Ledertasche an seiner Hüfte. Steinbacher ist daran, einen kleinen Anbau mit neuen Schindeln zu versehen. Rund 5000 Stück, jede ein bisschen anders, alle von Hand gespalten. Und nun nagelt er alle von Hand an die Wand.
Er habe einen aussterbenden Beruf, sagt Steinbacher. Leider. Geschindelte Fassaden seien heute halt nur noch etwas für Liebhaber. Viel zu langlebig. «Eine Schindelfassade kann im Idealfall 100 Jahre halten. Aber das will heute gar keiner mehr», erklärt er. Doch Steinbacher lässt sich nicht davon beeindrucken, dass die Welt immer schnelllebiger wird. Er ist stolz auf sein Handwerk und würde es eher aufgeben, als zuzulassen, dass eine seiner Fassaden aus Zeit- und Kostendruck etwas anderes als perfekt würde. Dazu gehören der sauber präparierte Untergrund sowie die exakte Ausrichtung der einzelnen Schindeln. Es fängt aber schon viel früher an. Genauer gesagt ein Dreivierteljahr vorher, mitten im Wald. Gemeinsam mit dem Förster streift der 52-Jährige durch die herbstlichen Hänge oberhalb von Vättis (GR). Er ist auf der Suche nach Fichten und Lärchen, die möglichst gerade und langsam gewachsen sind. Er weiss, wo er schauen muss: an besonders windgeschützten Stellen. Die Bäume, die Steinbacher gefallen, markiert der Förster mit der Spraydose. Später werden sie geschlagen und direkt zu Steinbachers Werkstatt in Vasön (SG) im Taminatal transportiert.
Wenn Rolf Steinbacher geschnittene Schindeln produziert, muss er zuerst einheizen. Im antiken Siedhafen werden die vorbereiteten Holzklötze mit Wasser bedeckt, bevor sie weiterverarbeitet werden. In der Werkstatt kommt zuerst eine Art mechanisierter Hobel zum Einsatz, der aus den Klötzen die Rohschindeln schneidet. Noch ursprünglicher geht es bei der Herstellung der handgespalteten Schindeln zu und her. Hier kommen vorbereitete Holzspalten auf einen speziellen Scheitstock. Mit dem Schindelmesser spaltet Steinbacher die knapp einen Zentimeter dicken Schindeln ab, dann schneidet er jede einzelne in die richtige Form. Das alles geht blitzschnell. «500 bis 900 Stück schaffe ich an einem guten Tag», sagt er. Den ganzen Winter über geht das so. Tag für Tag, bis das Lager oberhalb der Werkstatt wieder voll ist. Im Frühling, wenn die Arbeit gerade anfängt, monoton zu werden, ändert sich wieder alles: Dann schliesst Steinbacher seine Werkstatt, nimmt die vorbereiteten Schindeln und geht auf Montage. Die Objekte sind so vielseitig wie die Arbeitsorte: abgelegene Alpställe, stattliche Einfamilienhäuser – oder eben der kleine Anbau am Pfarrhaus von Mels. Dank der Sanierung seiner Schindelmacherwerkstatt, die durch die Unterstützung der Schweizer Berghilfe zustande gekommen ist, kann Rolf Steinbacher sein altes Handwerk auch in Zukunft ausüben.berghilfe.ch/projekte/mehr-als-nur-fassade, schindelmacherei.ch
Hotel in den Glarner Alpen
Viel Holz, viel Licht, ein Speisesaal mit grossen Tischen und gemütliche Sofas am Kaminfeuer. «Das Berghotel ist genau so geworden, wie wir es uns erträumt haben», sagt Sara Frei-Elmer. «Aber es war ein langer Weg.» Angefangen hat alles schon 13 Jahre früher. Sara und Romano Frei-Elmer führten damals die Leglerhütte in den Glarner Bergen. Mit viel Engagement hatten sie die Hütte trotz ihrer Abgeschiedenheit zu einem kleinen Touristenmagneten gemacht. «Wir waren sehr glücklich dort oben, aber spätestens mit der Geburt unseres Sohnes Nik wurde klar, dass es nicht ewig so weitergehen konnte. Ein dreistündiger Schulweg ist nichts, was man seinem Kind wünscht», so Romano. Also sah sich das junge Paar nach etwas Neuem um. Ein eigenes Hotel zu führen, war schon lange ein Traum der beiden, aber im Tal unten zu leben und zu arbeiten, konnte sich vor allem Romano nach all den Jahren auf der Hütte nicht mehr vorstellen. Doch da war ja noch das Berggasthaus Mettmen, gleich bei der Bergstation der Seilbahn auf die Mettmenalp, an dem die Hüttenwirte auf dem Weg zu ihrer Hütte jedes Mal vorbeigingen. Es war schon ziemlich verfallen und im Winter geschlossen. Mehr als einmal sprachen die beiden beim Vorbeigehen darüber, was man daraus alles machen könnte. Weil Freis ihre Ideen in ihrem grossen Bekanntenkreis diskutiert hatten, hörte auch der Besitzer des Gasthauses davon. Als er auf sie zukam und ihnen das Haus zum Kauf anbot, wurden die Träumereien sehr plötzlich sehr konkret. Sara und Romano Frei-Elmer wussten sofort, wie ihr Hotel aussehen könnte: Naturverbunden wie eine SAC-Hütte sollte es sein. Aber mit etwas mehr Komfort: kleine Zimmer mit eigener Dusche und richtig gutes, abwechslungsreiches Essen aus lokalen Zutaten. Doch so gut das alles tönte, es war erst einmal komplett unrealistisch. «Wir wussten, dass so ein Projekt Millionen kostet. Und wir hatten keine Millionen», sagt Sara Frei-Elmer. Doch die Idee liess die beiden nicht mehr los. Freunde und Stammkunden von der Leglerhütte ermutigten sie und sicherten ihre Unterstützung zu. Also gründeten die Freis eine AG – und alle kauften Aktien und ermöglichten so den Start des Projekts. Die beiden schrieben daraufhin Businesspläne, sprachen mit Architekten, planten, verwarfen Ideen, planten weiter – und suchten vor allem unermüdlich nach zusätzlichen Finanzierungsquellen. Insgesamt waren mehr als sechs Millionen Franken nötig. Auch wenn mehr Geld zusammenkam, als sich das junge Paar anfangs hätte vorstellen können – es reichte einfach nicht. Erst als die Schweizer Berghilfe zusicherte, die fehlenden 600 000 Franken beizusteuern, konnten die Freis endlich loslegen. Das alte Gasthaus wurde fast komplett abgerissen, und auf den alten Grundmauern entstand während knapp zweier Jahre ein moderner, dreigeschossiger Holzbau. berghotel-mettmen.ch, berghilfe.ch/was-wir-tun/geschichten
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Wer in den Bergen lebt, muss tüchtig, anpassungsfähig und innovativ sein. Doch für die Umsetzung guter Geschäftsideen braucht es Geld. Die Schweizer Berghilfe springt ein, wenn die Mittel für zukunftsweisende Projekte nicht ganz ausreichen. Bei der Finanzierung durch die Berghilfe handelt es sich um Restfinanzierungenvon geplanten Investitionen. Das heisst, die Projektträger müssen zunächst eigene Mittel einbringen, allenfalls öffentliche Fördergelder in Anspruch nehmen oder andere Finanzierungsquellen, wie zum Beispiel Bankkredite ausschöpfen. In der Regel spricht die Berghilfe À-fonds-perdu-Beiträge. Nicht unterstützt werden Projekte von Unternehmen mit mehr als 50 Vollzeitangestellten sowie von Unternehmen ausserhalb des Berggebiets. Ebenfalls beteiligt sich die Berghilfe nicht an laufenden Kosten. Mehr Infos gibt es unter: berghilfe.ch/gesuche