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02/2021 Auf der Dachterrasse

BAUEN

Reduktion auf das Wesentliche

Bestattungsriten ändern sich und Konfessionslosen fehlt oft der passende Raum für Trauerfeier und Abschiedsritual. Die Gemeinde Gais in Appenzell Ausserrhoden trägt den geänderten Anforderungen mit einer neuen Abdankungshalle Rechnung: Das Architektenteam der Frehner Holzbau AG überzeugt für den Ort des Abschieds mit einem puristischen Konzept.

Text Dorothee Bauland, Frehner Holzbau AG | Bilder Mareycke Frehner

 

Die neue Abdankungshalle steht im Zentrum des Friedhofs Gais. Das Gebäude ist geradezu minimalistisch in seiner Ausführung und konfessionsneutral gestaltet. Hell, modern und mit viel Licht, ist die Abdankungshalle ein nüchterner Gegensatz zum Vorgängerbau. Die Friedhofskapelle aus dem Jahr 1968 war zu klein geworden und musste 2018 weichen. «Die strenge Form des Neubaus irritiert und löste Kritik aus», so Architekt Jürg Frehner. In der Rohbauphase sei der straff geschnittene Baukörper sogar gelegentlich als Kiste bezeichnet worden. «Doch das stört mich nicht, es gibt auch schöne Kisten.» Die abwertend gemeinte Bezeichnung treffe nämlich das Ansinnen der Reduktion aufs Wesentliche recht genau. Die Kapelle besteht aus nur wenigen Materialien, die alle in ihrem Rohzustand eingesetzt wurden: Holz, Beton, Stahl und Glas.


In einem Projektwettbewerb haben sich Jürg Frehner (dipl. Zimmermeister / Innenarchitekt HFGZ) und Roman Neuländner (dipl. Architekt FH) von der Frehner Holzbau AG in Gais mit ihrem Entwurf gegen drei weitere Einreichungen durchgesetzt. Ihr Konzept der Nutzung und der Reduktion auf das Essenzielle fand in der Baubewilligungskommission der Einwohnergemeinde Gais Anklang. Das Budget von 600 000 Franken sollte nicht überschritten werden. Um Kosten zu sparen, wurde – abweichend vom Gestaltungsvorschlag – schliesslich auch noch auf Bänke und einen Parkettboden verzichtet. Rund 50 Stühle können nun aufgestellt werden, hinzu kommen 50 Stehplätze. Das macht auch die Raumnutzung flexibler.


Am Ende kostete der Neubau dann doch etwas mehr, nämlich 640 000 Franken. Doch das lag vor allem daran, dass unter der alten Kapelle noch eine Klärgrube entdeckt wurde. Diese wurde gereinigt und wird nun dafür genutzt, das Dachwasser zu sammeln. Die Entwässerung des Daches erfolgt unsichtbar in Fallsträngen im Wandelement. Mittels Handpumpe kann das Dachwasser dann als Giesswasser für die Grabpflege verwendet werden.


Präzision in der Ausführung

Wo viel reduziert und vereinfacht wird, ist grosse Präzision in der Umsetzung wichtig. «Bei dem gewählten, sehr unspektakulären Materialkonzept kann die Qualität nur über die Art und Weise der Ausführung entstehen», so Frehner. Der gesteckte Kostenrahmen und der Terminplan waren sportlich: «Die gegebene Bauzeit von sechs Monaten beinhaltete auch den Abbruch des bestehenden Gebäudes, die Ausführungs- und Detailplanung sowie die laufende Diskussion aller Massnahmen», so Frehner. Die gestalterischen Entscheidungen wurden von einer Arbeitsgruppe getroffen, die sich aus einem Gemeinderat, dem reformierten Pfarrer, dem katholischen Pfarrer sowie Mitgliedern der Baubewilligungskommission zusammensetzte.


Somit war klar, dass der Terminrahmen nur durch effiziente Vorfertigung eingehalten werden konnte. Der Planungsauftrag an die Holzbauer erging im Oktober 2018. Bereits im November und Dezember erfolgte die Fertigung der zellulosegedämmten Wandelemente in Holzständerbauweise sowie der Dachelemente im Werk der Frehner Holzbau AG und in Teilen auch bei der Nägeli AG. Noch vor den Weihnachtsfeiertagen konnte aufgerichtet werden. Die Phase des Ausbaus bis zur Fertigstellung nahm noch die Zeit bis März 2019 in Anspruch.


Holz aus dorfeigenem Wald

Bei der Montage stellten die Zimmerleute die vorgefertigten Wandelemente in einen umlaufenden Betonfalz. Ohne Sockelleisten bleibt dieser sichtbar. «Die Masstoleranz für den Baumeister haben wir auf drei Millimeter festgelegt», beschreibt Frehner die Planung. «Und sie wurde eingehalten.» Sowohl die breite, rollstuhlgängige Betonrampe als auch der Betonboden im Innenraum der Abdankungshalle sind in der Rohbauphase vergossen worden. Sie wurden direkt fertiggestellt und sichtbar belassen. «Der Besenstrichfinish auf der breiten Eingangsrampe als auch die abtaloschierte Bodenfläche des ganzen Innenraums zeugen von grossem Geschick des Baumeisters», freut sich Frehner über die Qualität der Ausführung.


Die Deckenkonstruktion ist mit Massivholzdielen gefertigt – geschlagen wurde das Holz im dorfeigenen Wald und zugeschnitten in der Dorfsägerei von Gais, der Soliholz GmbH. «Die Konstruktion hätte eine einfache Sache sein können», beschreibt der Architekt und Holzbauunternehmer die Umsetzung, «wenn nicht das stattliche ovale Oblicht quer zur Spannweite grössere Auswechslungen notwendig gemacht hätte.» Verformungen hätte die grosse Glasabdeckung nicht verziehen. Das Oblicht wurde bereits im Werk vormontiert, was wiederum den Chauffeur des Transportunternehmens vor Herausforderungen stellte: Die Einfahrt durch das Friedhofportal und durch die bestehende Baumallee erforderte Millimeterarbeit. Zur Optimierung der Raumakustik wurde die Brettstapeldecke (300 mm) im Hoch-/Tiefverfahren zusammengebaut. So gibt es trotz der Raumhöhe und der harten Oberflächen eine optimale Akustik. Die Zellulosedämmung über den Massivholzdielen ist mit einer Kautschukfolie abgedeckt und mit Rundkies beschüttet.


Form und Material

Alle Materialien sind unverkleidet und damit in ihrem archaischen Rohzustand sichtbar geblieben. Während des ganzen Bauprozesses mussten sie deshalb geschützt werden. Bei dem Entwurf des Gebäudes war es den Architekten ein Anliegen, einen Ort der Stille und der Reduktion zu schaffen, mit der Zielsetzung, möglichst alle formalen Ablenkungen zu vermeiden. «Jede Deckleiste will etwas verbergen», erklärt Jürg Frehner, «wir haben deshalb alles weggelassen, was konstruktiv weggelassen werden konnte.» Denn der Zweck dieses Gebäudes soll nicht beschönigt werden: Tod und Abschied sind unangenehm und werden lieber verdrängt. In seiner Form und Materialisierung soll das Gebäude ein klares Zeichen setzen für seinen sehr spezifischen Zweck. Die strenge Reduktion findet ihre Fortsetzung in der gewählten Gebäudeform. Die schlichte Gestalt des Baukörpers soll den Blick aufs Wesentliche fokussieren: Holz, Stein und Licht stehen symbolisch für das Leben, den Tod und die Frage, was danach kommen mag. In diesem Sinne sehen die Planer in der Kälte des Betons, der Wärme des Holzes und der Transparenz des Glases Parallelen zu religiösen und philosophischen Themen über das Bewusstsein von Körper, Geist und Seele.


Zwischen Diesseits und Jenseits
Quer im Raum ist eine grosse blaue Wand aus massivem Beton platziert. Sie steht da wie ein Fels in der Brandung und sie steht zwischen den Lebenden und denjenigen, die ins Jenseits vorausgegangen sind. Blau gilt als die Farbe der Hoffnung und der Ewigkeit. Der gewählte blaue Farbauftrag besteht zum Teil aus gemörsertem Lapislazuli aus Afghanistan, einem Pigment, wie es schon in der Renaissance zum Malen von Mariengewändern verwendet wurde. So ist auch die Farbe nicht einfach nur eine dekorative, lichtreflektierende Oberflächenveredelung, sondern ebenfalls eine Substanz, ein Material in seinem Rohzustand. Das Tageslicht wird durch eine elliptische Laterne auf dem Dach in den Innenraum geleitet. Es flutet die betonierte Trennwand, welche symbolisch zwischen dem Diesseits und dem Jenseits steht. Im minimalistisch ausgestatteten Innenraum machen zwei Katafalke ein leitungsfähiges Kühlsystem erforderlich. Durch die Auslagerung der Technik in ein Nebengebäude verläuft die Kühlung geräuschlos und ohne sichtbare Installationen. In gleichem Nebengebäude sind auch die Toilettenanlagen und die Infrastruktur für den Friedhofgärtner untergebracht. Das Hauptgebäude wird so von den betriebsnotwendigen Funktionen befreit. Die verwendeten Katafalke erfüllen ihre Kühlfunktion ohne obere Glasabdeckung, ähnlich wie eine Kühltheke im Supermarkt. Der Kontakt zu dem oder der Verstorbenen ist so direkt und unverstellt. Die Kühlung funktioniert trotzdem einwandfrei. Zudem lässt sich die ganze Front hochklappen, was praktischer für die Arbeit des Bestatters und für die Bodenreinigung ist. Da das Gebäude nur an wenigen Tagen im Jahr beheizt wird, kommen hierfür Infrarotwände mit Sonderbewilligung zum Einsatz.


Weil verschiedene Konfessionen verschiedene Ansprüche an eine Trauerzeremonie haben, entwickelten die Architekten ein Stelensystem, das wahlweise mit Weihwassergefäss, Kerzenhalter, Christuskreuz oder Kärtchenhalter individuell bestückt werden kann. Im Raum integriert ist ein Beamer mit Verbindung zum Rednerpult. Alle Requisiten können in zwei Abstellräumen versorgt werden, so dass der Innenraum immer frei bleibt.

Schlichte Lärchenholzhülle
Von aussen erscheint der Holzbau wie eine Hülle, die das Betonpodest umklammert. Während im Innenraum mit UV-Stop behandelte Fichtenmassivholzplatten das Erscheinungsbild prägen, ist die Fassade für einen besseren Witterungsschutz mit einheimischem Lärchenholz gestaltet. Das Gebäude will keine Kirche sein, sondern ein würdevoller Ort, an welchem Verstorbene für kurze Zeit aufgebahrt werden und Angehörige Abschied nehmen können.

Nägeli AG

Als Hannes Nägeli 1988 die Zimmerei und Bauschreinerei Hofstetter übernahm, zählte das Unternehmen vier Mitarbeitende. Doch der Betrieb expandierte schnell und beschäftigt heute fast 100 Mitarbeitende. Die erste Erweiterung fand 1992 mit dem Bau einer Abbundhalle und einer Schreinerei statt, es folgten weitere An-, Um- und Ausbauten am Standort Gais (AR). 2005 startete die Produktion von «Appenzellerholz», einem patentierten Holzbausystem aus leim- und metallfreien Massivholzelementen, das den technischen Anforderungen des modernen Bauens entspricht. 2012 wurde eine dritte Halle gebaut, um die zweite Produktionsanlage für «Appenzellerholz» zu installieren. 2017 erfolgte die Übernahme der Sägerei und Zimmerei Naef AG in Speicher (AR). Mit seiner Leidenschaft für Holz und für gesundes und nachhaltiges Wohnen steht Firmenchef Hannes Nägeli auch für die Verbundenheit von Mensch und Natur. Nicht nur die Mitarbeitenden der Nägeli AG stammen aus der Umgebung – wenn immer möglich, berücksichtigt das Unternehmen auch Produkte und Lieferanten aus der Region respektive der Schweiz. Nägeli ist es wichtig, dass die Wertschöpfung ressourcenschonend im Land bleibt. naegeli-holzbau.ch


Abdankungshalle

Projekt: Abdankungshalle, Gais (AR)
Bauherrschaft: Einwohnergemeinde Gais
Baujahr: 2019
Architektur: Roman Neuländner und Jürg Frehner, Frehner Holzbau AG, Gais
Ingenieurleistung Holzbau: Urs Graf, Frehner Holzbau AG; Simon Troxler, Nägeli AG, Gais
Holzbau: Frehner Holzbau AG und Nägeli AG, Projektleitung Jürg Frehner
Gebäudevolumen: Hauptgebäude 593 m3, Nebengebäude 65 m3
Bruttogeschossflächen: Hauptgebäude 123 m2, Nebengebäude 23 m2
Holzart: innen Fichte, aussen Lärche
Baukosten gesamt: CHF 640 000.–
Baukosten Holzbau: CHF 209 000.–


Frehner Holzbau AG

Die Frehner Holzbau AG mit Sitz in Gais (AR) wurde 1959 durch Zimmermeister Niklaus Frehner gegründet. Das Unternehmen wird heute von den Brüdern Andreas, Thomas, Jürg und Heinz Frehner geführt und beschäftigt rund 25 Mitarbeitende. Lernende werden im Holzbau und als Bauzeichner ausgebildet. Neben den klassischen Zimmereigewerken Holzsystembau, Treppenbau und Parkettböden bietet die Frehner Holzbau AG auch Leistungen zu Holzbaustatik, Raumklima und Mondholz an. Ausserdem verfügt die Schreinerei-Abteilung über ein CNC-Bearbeitungszentrum für den Innenausbau und die Anfertigung von Massivholzmöbeln. Heinz Frehner bildete sich zum Holzbaupolier und Thomas Frehner zum Bauführer und Holzbautechniker weiter. Ein wesentlicher Schwerpunkt des Unternehmens ist auch die Architektur: Andreas Frehner ist Architekt, Jürg Frehner bringt sich als Zimmermeister und Innenarchitekt ins Unternehmen ein. Ihr klares Ziel ist es, sinnvollen Wohnraum zu schaffen. Dabei begleiten sie die Bauherrschaft auf dem komplexen Prozess von der ersten Idee bis zum gebauten Objekt. frehnerholzbau.ch